Liechtenstein testet Gesundheitsarmbänder an den eigenen Bürgern, mit denen ihre Körperfunktionen überwacht werden können, meldete die Süddeutsche Zeitung am 18. April 2020. Dank Covid19 kommt diese Segen bringende Technologie schneller als erwartet in unsere Realität.

Im Herbst vergangenen Jahres habe ich in einem kleinen Dorf vor den Toren Prags mit einem Softwareentwickler gesprochen. Er arbeitet mit seinem Unternehmen an künstlicher Intelligenz. Seine Auftraggeber kommen vornehmlich aus dem Gesundheitssektor. Die Armbänder werden kommen, hatte er gesagt. Erst für die Kranken oder die Gefährdeten. Dann auf freiwilliger Basis für die Gesunden. Dann werden mehr Incentives geboten werden, um sie zu tragen (vor allem Krankenversicherer werden dies vorantreiben). Und schließlich wird unser aller Biomechanismus, freiwillig oder gesetzlich vorgeschrieben, ausgelesen werden. In irgend einem Rechenzentrum wird man unseren Körper besser kennen, als wir selbst.

1973 hat der niederländische Ökonom Arnold Heertje sich in seinem Buch “Economie en technologische ontwikkeling” Gedanken zur bevorstehenden Internetrevolution gemacht. Er hat vorhergesagt, dass es ein Machtsmonopol der größten Unternehmen auf diesem Gebiet geben wird. Als das Internet schließlich in den 1990er Jahren durchgebrochen ist, war die Masse gierig auf die neuen Möglichkeiten, das Geld, das damit zu verdienen war, und ließ sich auch durch die dot.com-Blase nicht beirren.

Politik ist Tagesgeschäft. Weiter als bis zu den nächsten Wahlen will man nicht schauen. Zuspruch der Wähler, auch wenn sie als solche erst wieder in Monaten oder Jahren fungieren werden, werden monatlich, wöchentlich gemessen. Daran orientieren sich die Entscheidungen der Entscheidungsträger allzu oft. Also ließ man das Internet laufen. Glaubte daran, dass es ein demokratischer, freier Ort ist. Ließ sich in die Irre führen, dass die Demokratisierung der Welt (sprich die Verwestlichung Arabiens und Nordafrikas) dank Facebook gelingen werde.

Das Internet wurde kaum geregelt. Es wurde nicht der demokratische, der vernünftige Ort. Es wurde der Ort, an dem der Mensch ausgelesen wird, unser aller Verhalten berechenbar wird und wir, das ist das Ziel, gesteuert werden können, Dinge zu tun, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie wollen. So bekommt das Bonmot Wir können tun, was wir wollen, aber nicht wollen, was wir wollen eine neue Wendung.

Der Zeitpunkt, um diesen gewaltigen Impact des vermeintlichen Gratisangebots von Facebook und Google rechtlich in gewünschte Bahnen zu lenken, überhaupt eine politische Diskussion über diese Entwicklung führen, ob das gewünscht ist, ob unsere Gesellschaft sich dessen bewusst ist und was das mit uns heute, in zehn, in zwanzig Jahren machen wird, ist verstrichen. Shoshanna Zuboff wird in tapferen Publikationen zitiert, aber auf die Politik keinen Einfluss haben. KI-Experten wie Ben Goertzel (auf der Konferenz des Nexus Instituts 2019) sehen die Zukunft von 80% der Bürger mittelfristig als eine Existenz nicht viel sophistizierter als die von Brokkoli (unabhängig von ihm sagte das übrigens auch der eingangs erwähnte tschechische Softwareentwickler: der dank KI große, nutzlose Teil der Gesellschaft wird in einer Videorealität gehalten werden mit dem einhergehenden Vorteil, dass sie geringen Platz- und Bewegungsbedarf haben werden, eine Renaissance der Plattenbauten wird kommen – ohne die lästigen Grünflächen indes; diese Menschen werden nicht mehr nach draußen gehen müssen). Anders Indset sieht die Chancen von KI noch etwas positiver. Es scheint indes schwer vorstellbar, dass er in der Politik Gehör finden wird. In der Wirtschaft ja, aber hier wird keine gesellschaftliche Debatte geführt, sondern eine ökonomische. Und Ökonomie ist, das hat Milton Friedman deutlich gemacht, eine rein von persönlichen Interessen des Individuums getriebene Disziplin.

Hat das Internet, haben Facebook und Google uns die Demokratie gebracht? Erinnert man sich an die Ironie Isaac Asimovs, dann ja: “Democracy is understood that my ignorance is just as good as your knowledge.” Wir dürfen uns fragen, ob das das ist, was wir uns vorgestellt haben. Wir können aber nicht sagen, dass man mit Voraussicht, Philosophie und Sozialwissenschaft nicht vor zehn, zwanzig, fünfzig Jahren gesellschaftliche Diskussionen hätte führen können, müssen. Heute ist das Kind Internet – als Facebook und Google – in den Brunnen gefallen, too big too fail. Aber heute können andere Debatten geführt werden, über Entwicklungen, die uns in zehn, zwanzig fünfzig Jahren betreffen werden. Welcher Politiker traut sich?

Wenn in der Politik über das Wohl der Gemeinschaft gesprochen wird, werden hierfür ökonomische Statistiken angeführt. Bruttoinlandsprodukt, Exportweltmeister, der Jahresgewinn von Shell, das wertvollste Unternehmen des Landes/der Welt. Andere Bewertungsmaßstäbe für eine erfolgreiche Gemeinschaft sucht man vergeblich.

Die Vorgänge im kleinen Liechtenstein sind wieder einmal ein Anlass, eine Debatte zu führen. Und eigentlich wird auch diese Gelegenheit wieder verstreichen. Und in zwanzig Jahren wird Zuboffs Tochter sich fragen, ob das eigentlich so wünschenswert war, dass man die Unternehmen mit ihren Armbändchen hausieren gelassen hat. Dann aber wird sich dies schleichend als Standard installiert haben, werden die Daten in den Händen privater Unternehmen sein, werden deren Gesellschafter damit viel Geld verdienen und sich rühmen für all die Arbeitsplätze, die sie zum Wohl der Gesellschaft geschaffen haben. Wehe, ihrem Geschäftsmodell kommt jemand, ein Politiker, zu nahe.

April 2020